Ausbau des Refugiums

Als Henrik Mroska die kleine marode Rittergutskirche von der Stadt Schkeuditz erworben hatte – mit der Auflage, in den ersten drei Jahren mindestens 75.000 Euro in die Erhaltung des Denkmals zu investieren – lautete sein Nutzungskonzept: Kulturveranstaltungen, Gottesdienstangebote und eine Herberge für Pilger auf dem Ökumenischen Pilgerweg von Görlitz nach Vacha.

Seit Einweihung des Ökumenischen Pilgerwegs 2004 tauchten in Kleinliebenau immer häufiger Leute mit Rucksack und Wanderstock auf, von denen manche anfragten, ob sie für eine Nacht Quartier bekommen könnten. Die Kleinliebenauer lernten, was Pilgern bedeutet und dass sie an einem Zweig des berühmten Jakobsweges wohnen, der nach Santiago de Compostela im spanischen Galizien führt. Die Pilger kamen zunächst meist in Jürgen Weidemanns kleinem Waschhäuschen unter, das seine Bauhütte war und nun als Gästehaus dient.

Der ursprüngliche Plan Henrik Mroskas, an der Kirche einen modernen Wohnanbau zur Friedhofsseite hin zu errichten und die Pilger im sanierten großen Dachboden unterzubringen, scheiterte am Finanzvolumen und an technischen Vorschriften. So entstand der Plan für einen straßenseitigen Anbau, den die Architektin Ursula Quester nun umsetzen konnte. Dies aber nicht im modernen Stil, sondern – in Anlehnung an viele sächsische Dorfkirchen – als architektonische Verschmelzung mit der alten Rittergutskirche.

Zugute kam uns bei der Genehmigungsplanung, dass es an der Kirche bis in die 1950er Jahre den Extra-Aufgang für die Patrone gegeben hat. Bis jetzt gibt es keine Zeugnisse, wie dieser Aufgang ausgesehen hat. Nur der Bogen der Wandöffnung ist noch nachvollziehbar gewesen. Die Tatsache an sich ergab, dass wir auf der vermeintlichen Fläche des Patronatsaufgangs einen Anbau zur Unterbringung einer Pilgerherberge erstellen durften, den die Denkmalpflege befürwortete. Es waren eine Menge Vorgaben zu beachten: So durfte die Kirch-Traufhöhe nicht überschritten werden, die Fenster hatten sich denen der Kirche unterzuordnen und so weiter. Auf einer Fläche von vier mal vier Metern Außenmaß mussten wir alle unsere Wünsche erfüllen: Pilgerherberge, Miniküche, Damen- und Herrentoilette, Dusche … Um den Bau des Pilgerquartieres überhaupt beginnen zu können, war im Vorfeld – erstmals in der gesamt 700-jährigen Geschichte der Rittergutskirche! – für Strom- und Wasseranschluss zu sorgen. Ohne Strom läuft heute keine Maschine und zum Mauern braucht man Wasser.

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Außerdem fehlte es an Geld – wir waren auf Sponsorensuche für den fehlenden Betrag zum Eigenanteil und hatten gerade den Oberbürgermeister von Schkeuditz mit drei Amtsleitern zu einer „Werbeveranstaltung“ im Kirchlein, in der wir die Anliegen unseres Vereins, vor allem auch die Dringlichkeit der Pilgerunterkunft, gebührend darstellen wollten. „Kommen denn überhaupt Pilger?“ fragte OBM Enke zweifelnd. Während wir rasch abzuschätzen versuchten, wie viele Pilger denn schon in den Provisorien unterkamen, klopfte es. Ein Pilgerpärchen trat ein und bat um Quartier. Besser hätte man es nicht organisieren können! Die dringende Finanzspritze von der Stadt Schkeuditz haben wir bekommen …

Der eigentliche Baubeginn fand am 7. Juni 2007, einem Donnerstag, mit dem ersten Spatenstich für das Fundament des Pilgerquartiers statt. Wir Vereinsmitglieder bereiteten in Eigenleistung Schalung und Erdreich für die Fundamentlegung vor. Mit Feuereifer wühlten wir in der obersten Erdschicht. Erhard Zeinert, der für sein Leben gerne baggert, hatte einen recht großen Bagger von DVD Dölzig organisiert und erleichterte wesentlich den Fortgang der Arbeiten. Mit dem Effekt, dass er schon recht schnell in frostfreien Tiefen war und der Fundamentgraben deutlich breiter als vorgesehen. Unser bisschen Schalholz reichte vorn und hinten nicht. Henrik hatte eine Idee: „Ich geh’ den Udo Schramm fragen. Der schmeißt doch im Kinderheim gerade die alten Türen raus. Vielleicht kriegen wir die.“ Es klappte! Dank dieser Türen konnten wir die Schalung rechtzeitig fertigstellen, denn der Fertigbeton, den uns Firma Zuber Beton sponserte, war bestellt und musste abgenommen werden. Auch das war nicht so einfach. Damit alles schön in den Graben lief, zimmerten wir schnell aus ein paar rasch zusammengeborgten Euro-Paletten und altem Fußbodenbelag eine Rutsche. Für den Luxus einer Beton-Pumpe fehlte uns einfach das Geld …

Zum Glück gibt es keine Noten für die Schönheit eines Fundaments. Bedingt durch die „Augenmaß-Schalung“ war es breiter geraten als geplant und der gesponserte Restbeton reichte nicht ganz. Eigentlich sollte nun gleich die erste Schicht Porotonstein aufgemauert werden, der dann die Schalung für die Fußbodenplatte geben sollte. Aber dafür lag die Fundament-Oberkante nun zu tief. Poroton ist nicht frosthart. Also mussten Schwerbeton-Fundamentsteine besorgt und aufgemauert werden. Wir waren im Zeitdruck, denn für Anfang August waren die Helfer vom Bauorden angesagt, die den Rohbau mauern sollten!  Zum Glück sind die Kleinliebenauer Vereinsmitglieder (oder die es dann geworden sind) alle kleine Baumeister. Beim Einbringen von Überkornkies aus der örtlichen Radmer-Kiesgrube (eine elende Arbeit!) für die kapillarbrechende Schicht unter dem künftigen Fußboden trafen sechs Pilger ein, die noch Kraft hatten – sie schippten fleißig mit, sodass der nächste Fertigbetonschub kommen konnte.

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Den Rohbau des Pilgerquartieres errichteten in den ersten beiden Augustwochen sieben Mitglieder des Internationalen Bauordens, junge Leute und Senioren aus Litauen, Deutschland und Bulgarien, wieder unterstützt von Vereinsmitgliedern und anderen freiwilligen Helfern. Die Versorgung der Bauleute wurde vor allem von engagierten Dorfbewohnern geleistet, abends saß man nach getaner Arbeit auch gern zusammen. Die gemeinsame Zeit wurde von allen Beteiligten als große Bereicherung erlebt. Zwei Mitglieder des Bauordens sind inzwischen auch Vereinsmitglieder geworden.

Am 17. August 2007 feierte der Verein das Richtfest des Pilgerquartiers mit der Dorfbevölkerung, den Bauleuten und vielen weiteren Gästen aus der Region.

Nun hatten wir wenigstens ein Schutzdach, um auch bei Regen Kaffee und Kuchen für die Konzertgäste bereithalten zu können. Ab dem Frühjahr 2008 ging dann der Innenausbau weiter. Im Mai nach den Abiturprüfungen brachten Abiturienten des Evangelischen Schulzentrums unter Anleitung unseres „Lehm-Manns“ Jürgen Weidemann im Obergeschoss ökologischen Lehmputz auf und Gipskartonplatten an die Decke. Erhard Zeinert putzte im Spätsommer das Erdgeschoss und Bernd Sorgatz stellte Trockenbauwände. Tobias Keller sponserte die Klempnerleistungen.

Der Ausbau des Pilgerquartiers in der Kleinliebenauer Kirche ging Mitte März 2009 weiter. Gabor Höhn und André Schladow vom Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte verlegten und verfugten etwa 45 Quadratmeter Wand- und Bodenfliesen im Erdgeschoss und dem Sanitärbereich des künftigen Pilgerquartiers. Ausbilder Alfred Hertsch leitete die Berufsschüler an. Solche kleine Baustellen sind ideal für die Auszubildenden, denn nur praxisnah und mit viel Geduld kann man die Jugendlichen an ihre zukünftigen Aufgaben verantwortungsvoll heranführen.

Vereinsmitglieder besorgten in vielen Arbeitsstunden die restlichen Innenarbeiten im Pilgerquartier, nähten Schonbezüge für die Matratzen, fügten die Muschel in der Ziegelwand ein. Eine Herbergsordnung wurde ausgearbeitet, ein „Dienstplan“ für die Schlüsselverantwortlichen eingeteilt. Letzten Schliff brachte ein Arbeitseinsatz am 23. Mai 2009.

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Nach zweijähriger ehrenamtlicher Bautätigkeit konnten wir das Refugium am 29. Mai 2009 der pilgernden Öffentlichkeit übergeben und ökumenisch durch Pfarrer Dr. Christian sowie Dr. Meißner weihen. Eckhard und Els Musch aus Seligenstadt am Main waren die ersten Pilger, die im neuen Quartier nächtigten. Sie waren zu Anfang als Mitglieder des Internationalen Bauordens schon einmal da. Viele Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Ländern sind uns über diese gemeinsame Arbeit zu Freunden geworden.

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