Alle Beiträge von Alexander Wolsza

Viele Pilger auf einen Streich

Erlebtes-02  Es ist Mai und die Pilgersaison beginnt. Zwei junge Pilger klingelten bei Herbergsmutter Annegret und machten es sich dann im Quartier gemütlich.
Montags ist in Kleinliebenau mehr als „tote Hose“, die Bürgersteige sind hochgeklappt. Beide Gaststätten sind zu und die Jungs hatten Hunger. Annegret wies ihnen den Weg zum Einkaufszentrum Günthersdorf.
Doch bald klingelte es bei ihr wieder und fünf rüstige Rentnerinnen baten um Unterkunft. Wie sagt man so schön: „Geduldige Schafe gehen viel in einen Stall“ – aber wie managt man das? Zwei Frauen bei den jungen Männern, drei Frauen ins alte Waschhäuschen bei Jürgen – ist das eine gute Variante? Die Frauen waren nicht so begeistert. Nun, Annegret überließ es ihnen, bei der Rückkehr der Männer diese zu überzeugen, das Pilgerquartier zu räumen und in das „Hexenhäuschen“ umzuziehen. Das klappte anscheinend auch. Am nächsten Morgen fuhren wir gerade am Quartier vorbei, als sich die Frauen zum Abmarsch rüsteten. Sie waren im Übrigen Mitglieder einer Kirchgemeinde aus Freiberg bei Dresden, die jedes Jahr gemeinsam einige Etappen des Pilgerweges zurücklegen. Im Gespräch erfuhren wir, dass ihre Überzeugungsarbeit gar nicht so groß sein musste. Die Männer hatten fast freiwillig das Quartier gewechselt. Warum wohl? Zuletzt gab es noch ein Gruppenfoto für unseren Vereinsfilm und los ging es mit Stock, Hut und fast im Gleichschritt zum nächsten Ziel – Merseburg.

Einige Tage später erfuhr ich noch eine Ergänzung dieser Geschichte: Die jungen Männer waren nach ihrer Ankunft im Pilgerquartier ja nach Günthersdorf gewandert, um etwas Essbares aufzutreiben. Danach ruhten sie sich am See aus und sind eingeschlafen. Erst gegen 21 Uhr tauchten sie am Quartier auf, wurden von den Frauen ausquartiert, klingelten erneut Annegret heraus und wurden ins Hexenhäuschen eingewiesen.
Im Übrigen waren an diesem Tag noch zwei ehemalige Pilger da. Sie hatten vor einiger Zeit in unserer Herberge übernachtet, da war noch alles Drumherum Baustelle. Jetzt waren sie wieder einmal in Leipzig – mit dem Auto – und wollten bitte, bitte einen Blick in die fertige Kirche werfen. Da konnte Annegret natürlich nicht nein sagen.

An diesem Tag war sie also vier Mal zum Quartier vorgepilgert, das sind zusammengerechnet über zwei Kilometer …

Auf Jakobswegen in Deutschland

Erlebtes-04 28.5. 2009 (Eckhard) L-Sommerfeld – Leipzig Zentrum 6 km. Nach dem Frühstück nimmt uns Pfarrer Ulbricht mit in seine Kirche, liest und erläutert das Losungswort des Tages („vergelte nicht Gleiches mit Gleichem“) und erteilt den Pilgersegen. Dann erzählt er über Lebenund Taten des berühmtesten Sommerfelders: des Bauern-Astronomen Arnold, der im 17. Jahrhundert lebte – ein sehr interessanter Mann.

Dann geht es bei starkem Gegenwind und gelegentlichem Regen auf der vielbefahrenen Ausfallstraße durch endlose Vorstädte in Richtung Zentrum. Inmitten einer Häuserzeile finden wir unsere heutige Pilgerherberge bei den Dominikanerinnen von Bethanien, einer kleinen Kongregation von sechs Ordensschwestern, die sich in diesem Problemviertel um die Armen, Alten und Ausgegrenzten kümmernund versuchen, zu helfen. Wir werden freundlich empfangen und beziehen ein schönes Wohn-/Schlafzimmer.

Um die Mittagszeit machen wir uns auf ins Zentrum. Die Stadt wimmelt bereits von den schrägen Typen der Wave Gothics in ihren schwarzen Klamotten. Über Pfingsten werden über 20.000 erwartet! Wir essen in der alten Nicolaischule gegenüber der gleichnamigen, berühmt gewordenen Kirche, bummeln noch etwas und kehren in unser Refugium zurück, um meine lädierten Knie zu schonen. Mit den Schwestern beten und singen wir die Laudes; der Tag klingt aus.

29.5. 2009 (Els) Leipzig – Kleinliebenau 20 km. Und um halb acht (gefrühstückt, Rucksäcke sind gepackt) sitzen wir zur Non mit fünf Schwestern in der Hauskapelle: wir singen und beten, dann geht die Tür des Esszimmers auf: der Frühstückstisch ist für uns alle gedeckt!

Erlebtes-01Nach einem herzlichen Abschied machen wir uns in das Zentrum zur Thomaskirche (Bach!) auf, wo Matthias Caffier, ein Aktiver des Kultur- und Pilgervereins, auf uns wartet. Pfarrer Wolff nimmt uns mit in die obere Sakristei und erteilt uns einen schönen, sehr persönlichen Pilgersegen. Der Abschnitt des Pilgerwegs nach Kleinliebenau ist wunderschön, führt viel durch Wald und an der Elster entlang. Matthias ist ein guter Führer, ein interessanter Mann, mit dem man offen über alles reden kann. (Hier müssen wir des besseren Verständnisses wegen einfügen, dass wir vor zwei Jahren im Rahmen eines Projekts des Internationalen Bauordens mitgeholfen haben, den Rohbau der Pilgerherberge Kleinliebenau als Anbau an die alte Rittergutskirche zu errichten.

Heute soll die Herberge eingeweiht werden!). Wir stärken uns in der Domholzschänke, und da kommen Siegfried, der Kapitän, mit seiner Frau Ernestine, um uns zu begrüßen. Große Wiedersehensfreude! Um Punkt 16 Uhr erreichen wir Kleinliebenau. Wie schön ist die Pilgerherberge geworden! Küche, Dusche, zwei Toiletten im Erdgeschoss, und im Obergeschoss das „Matratzenlager“ – alles, was ein Pilger braucht. Es ist ein besonderes Gefühl, hierher zurückzukommen, die lieben, vertrauten Menschen zu sehen und mit Genugtuung zu erkennen, was aus unserem Bauordeneinsatz 2007 geworden ist. Ist es Zufall, dass wir im letzten Jahr genau an diesem Tag – dem Freitag vor Pfingsten – unseren Pilgerweg von unserer Heimatstadt Seligenstadt nach Santiago de Compostela abgeschlossen haben? […]

Erhard steht schon am Bierausschank und Wurstbräter und strahlt. Wir umarmen viele alte Bekannte. Der weltliche Teil des Fests nimmt seinen Lauf, das Bier strömt. Viele Menschen sprechen uns an, darunter mehrere Jakobspilger. Auch der frühere Superintendent Friedrich Magirius, der großen Einfluss auf die Montagsdemos in Leipzig hatte, Pfarrer Ulbricht und Dagmar Schlegel, eine besonders Aktive des Ökumenischen Pilgerwegs, sind gekommen. Eine Musikgruppe spielt irische Folkloremusik. Es herrscht eine tolle, fröhliche Stimmung. Müde ziehen wir uns in der Nacht auf unsere Matratzen zurück – wir haben einen Zimmergenossen, den Spanier Ramòn, einen Schnarcher par excellence!

Unfreiwilliger Test

 Es ist April. In einigen Wochen ist das Pfingstfest 2009.
Die Arbeiten am neuen Pilgerquartier laufen auf Hochtouren. Die Installationsarbeiten sind fast abgeschlossen. Miniküche mit Kühlschrank, ein kleiner Tisch und Stühle, Duschvorhang und verschiedener Kleinkram wie Besteckkästen, Besen mit Kehrblech, Wischeimer, Gästebuch und vieles mehr werden eingekauft. Es fehlen natürlich nicht – wegen der Frage der Sicherheit – ein Feuerlöscher und ein Brandmelder mit Batteriebetrieb. Wir wissen ja alle, wie das ist: nasse Kleidung oder Schuhe werden gern an oder auf die Heizung gestellt, auch wenn das nicht so sein sollte.
Zur Einweihung war natürlich viel Tamtam, Presse, katholische und evangelische Pfarrer, Denkmalpfleger, Sponsoren, Förderer und viele Gäste … und natürlich hatten wir auch die Ankunft der ersten Pilger organisiert.
Eine Menschentraube stand mit ernster Miene am Eingang des Quartiers und verfolgte aufmerksam die Handlung des katholischen Pfarrers zur Weihe des Quartiers, natürlich mit dem Weihrauchkelch.
Plötzlich schlug unser Brandmelder Alarm.
Der aufsteigende Weihrauch hatte den Melder ausgelöst. Alles lachte!
In Ordnung, die Pilger können kommen. Alles funktioniert bestens.